Star Trek: Context Is For Kings - oder: die geschmorte Bok-Ratten-Leber
Star Trek: Discovery ist die jüngste Serie aus dem Star-Trek-Universum (beginnt im Jahr 2256, gut 100 Jahre vor Jean-Luc). Der Captain heißt diesmal Gabriel Lorca. Er ist ein etwas schwieriger, bockiger, aber mutiger und tollkühner Charakter. Das Zitat, das im Zentrum dieses Blogartikels steht, ist in folgender Situation zustande gekommen: Lorca möchte die Kollegin Michael Burnham in seinem Team haben, die als verurteilter Sträfling im aktiven Dienst der Sternenflotte eigentlich nix zu suchen hat. Sie hat zuvor ein paar ganz schön wilde Manöver riskiert, die Lorca schwer beeindruckt haben. Seinen Wunsch nach ihrem Engagement im Team begründet er genau damit: Sie hat, als es geboten war, die Regeln gebrochen und etwas riskiert, nicht zuletzt ihr eigenes Wohl, um das (höhere) Ziel zu erreichen. Seine Kernaussage lautete:
„Universal law is for lackeys.
Context is for kings.“
Dieses Zitat ist sofort bei mir hängen geblieben und ich habe es lange in mir herumbewegt, bis diese Zeilen „reif“ waren. Woran liegt das? Zum einen ist schwierig, dass mit dem Kontrast „lackey“ – „king“ (Lakai – König) eine Hierarchie mitschwingt, um die es mir eigentlich gar nicht geht. Man könnte es (meiner Meinung nach) fehlinterpretieren, indem man sagt: „Nur Deppen halten sich an Regeln“ bzw. „der Chef darf halt alles“. Im Kontext der Serie glaube ich nicht, dass das so gemeint war. Ich denke, es geht darum, aus einer Situation heraus zu erkennen, wann das genaue Befolgen der Regeln zum Ziel führt und wann es sich lohnt, davon abzuweichen. Kurz: Es geht um Methoden.
Die Rolle von „Methoden“ ist immer wieder Gegenstand der Debatte. Ist der Experte der, der eine (oder mehrere) Methoden in seinem Werkzeugkoffer hat und diese buchstabengetreu anwenden kann? Der Sinn und Einsatz von Methoden wird meiner Beobachtung nach umso heißer diskutiert, je „weicher“ das Thema ist, wie z. B. beim Coaching, während es z. B. technische Verfahren/Methoden/Regelsätze gibt, die erprobt und akzeptiert sind, über die man nicht allzu lange streiten muss. Klar: Es gibt nun mal besser fassbare Bereiche, bei denen man den Erfolg von Methoden viel einfacher überprüfen kann, was es auch leichter macht, einer Methode das Zertifikat „gut“ zu verleihen. Es krankt also zunächst einmal daran, dass man gar nicht ohne weiteres feststellen kann, wann eine Methode gut ist, um z. B. Führungskompetenz zu entwickeln, um Innovation zu fördern oder Teamgeist entstehen zu lassen.
Gleichzeitig wird immer wieder von einer blinden Methodenhörigkeit gesprochen, neben der Erfahrungswissen, Intuition und „Bauchgefühl“ verblassen. Braucht man alles nicht, man hat schließlich die Methode, die man nur treu befolgen muss, zackbumm, ist man beim Ergebnis. Dieser Tatbestand führt dann dazu, dass (jetzt werden wir kurz plakativ) ein junger Hüpfer nach einem Wochenendkurs zertifizierter Projektmanager ist, gegen den ein alter Hase mit 30 Jahren Projektgeschäft auf dem Buckel (aber ohne Zertifikat) abgewertet wird. Wie immer liegt die Wahrheit in der Mitte und was ich da hingepinselt habe, sind natürlich – des Kontrasts wegen – die Extreme. Man darf sich also fragen, welchen Wert Methoden haben, wozu sie gut sind und was ihr Sinn und Wesen sein möge.
Ich denke, ein Neuling profitiert enorm davon, sich Methoden anzuschauen und anzueignen, sie zu durchdringen und Beispiele der Anwendung zu studieren. Natürlich kann jemand diese Strecke auch zu Fuß bewältigen und durch Versuch und Irrtum herausfinden, wie es geht. Das ist meiner Ansicht nach gleichermaßen legitim und somit eine Frage von Praktikabilität und Geschwindigkeit. Wenn es mir nicht im Wesen darum geht, eine andere Methode zu entwickeln, dann kann ich ruhig die nehmen, die schon x andere erprobt haben und mache damit wahrscheinlich erst mal nicht gar so viel falsch und lösche auch nicht diese kleine schummrige Bar auf Kyana II im Delta-Quadranten aus, weil ich auf den verkehrten Knopf gedrückt habe. Macht mich das zu einem „Lackey“? Vielleicht. Ist aber auch egal. Es ist nichts Schlimmes daran, erst mal der Regel zu folgen.
Meiner Meinung nach beginnt hier erst der Spaß und der „King“ zeichnet sich dadurch aus, dass er von der Methode abweicht, weil er sie sie aufgrund intensiven Verständnisses durchdrungen hat und sie auf einen Kontext anwenden kann, kurz: Er betrachtet den Gesamtzusammenhang und übernimmt jene Aspekte der Methode, die er jetzt braucht, lässt aus, was ihm im Moment nicht dient und improvisiert auf die letzten Meter, weil eine Situation eingetreten ist, die im Methodenhandbuch leider nicht beschrieben wurde (Projektmanagement lässt grüßen…). Dabei zeichnet sich der Experte dadurch aus, dass er nicht einfach irgendwas tut, sondern dass er ziemlich genau sagen kann, in welchen Punkten er warum von der Regel abgewichen ist, was er stattdessen gemacht hat und warum er dachte, dass ihn diese Abweichung zum Ziel führen würde.
Alles zu abstrakt? Hier einen Zacken pragmatischer:
Wir stellen uns den Talaxianer Neelix vor, der auf der USS Voyager (aus dem Jahr 2371, Stardate und … ach, egal) die Crew mit lecker-fragwürdigen Köstlichkeiten bekocht. Er fängt als Laie an und hat keine Ahnung vom Kochen. Um – sagen wir mal – geschmorte Bok-Ratten-Leber (ein Gericht, für das ein Klingone töten würde – und töten würde!) zuzubereiten, muss er sich zuerst ein Rezept besorgen. Das befolgt er erst einmal haargenau, auch wenn wir alle wissen, dass Schmorgerichte recht verzeihend sind. Mit der Zeit weiß er, worauf es ankommt und er beginnt, wie fast jeder Foodie, davon abzuweichen: Er verändert vielleicht leicht die Reihenfolge der Arbeitsschritte, legt die Bok-Ratten-Lebern vorher in etwas romulanischem Ale (yumyum!) ein und probiert dieses und jenes Gewürz aus. So kommt er schließlich zu seiner eigenen Variante vom Rezept, die am Ende auch das Ergebnis „geschmorte Bok-Ratten-Leber“ ergibt, aber doch anders ist. Gut, das hätte man jetzt auch mit Kartoffelsuppe erklären können. Aber so ist es schöner.
Live long and prosper!
Gudrun